Gestern telefonierte ich mit einem Fotografen-Kollegen. Ihn bewegte „was da bei Gruner und Jahr passiert ist“. Er meint: eine lange Liste an Magazinen wird eingestellt oder verkauft. Der börsennotierte Medienkonzern RTL kaufte Anfang 2022 das gesamte Medienunternehmen Gruner+Jahr: Das Flaggschiff der Auftraggeber für freie Fotografen. Wer die berüchtigte Mappentour zur Eigenwerbung machte, kam an diesem Gebäude an der Außenalster in Hamburg nicht vorbei. Hatte man einen Termin im Haus, konnte es passieren, dass man auch noch zu weiteren Bildredaktionen geschickt wurde: Hier versammelten sich Geo und Stern, Capital und Brigitte.
Jetzt sehen wir in den Medien die Titelbilder der Magazine, wie sie vor dem Hamburger Rathaus als Protestplakate in die Höhe gehalten werden. Feste und freie Mitarbeitende protestieren vor dem Hamburger Senat. Sie protestieren gegen eine wirtschaftliche Entscheidung: Ihre Gehälter werden wegrationalisiert und die Unwirtschaftlichkeit ihrer täglichen Arbeit damit attestiert.
Der Kollege mit dem ich spreche, behauptet sich nun auch schon über viele Jahre am Markt als freier Fotograf, mischt zu den prestigeträchtigen (schlechter bezahlten) Magazin-Jobs, PR-Aufträge und hat ein weiteres Standbein durch Unterricht an einer Schule. Auch ihm sind nun Jobs abgesagt worden, die er eigentlich schon sicher hatte. Aber „sicher“ scheint nun in der Branche weniger zu sein als je zuvor. Mir kommt es vor, als steigern wir uns gegenseitig ins Mitgefühl für die anderen Freien: Für die Bildredakteur*innen, für die Schreiber*innen, für die Fotograf*innen, die ihre Einkünfte nicht breiter aufgestellt haben.
Mir fallen tröstende Worte ein: Es gibt in Hamburg tolle Förderungen und Stipendien – das wird schon nicht so schlimm. Und mit dem Gedanken an die hohen Mieten in Hamburg und wie viele Jobs nun nicht mehr vergeben werden, bin ich mir sicher, dass es nicht für alle reichen wird und vor allem wird es nicht für alle eine praktikable, stabile Lösung sein.
Nächster Anker der Hoffnung: die besser bezahlten Jobs in der PR-Welt. Jene Magazine, die eh schon von Unternehmen finanziert werden und von denen gern (ehemalige) Journalist*innen beauftragt werden. Damit sehen die Werbebotschaften aus, wie eine vertrauenswürdige Nachricht und gut recherchierter Journalismus. Auch hier werden Portraits von B-Promis und Menschen in Anzügen beauftragt. Aber hier bekommt man statt 150 bis 450€ gerne das doppelte Honorar und obendrauf das schlechte Gewissen seinen Idealismus an den Kommerz verkauft zu haben.
Spartipp: Diese Magazine liegen kostenfrei aus!
Nostalgie Print-Journalismus
Ehrlich gesagt: Die Nachricht der Stellenstreichung und Einstellung der Magazine hat mich überhaupt nicht überrascht: Wenn ich mir meine eigenen Käufe von Printmedien anschaue und damit ein Stück der Entwicklung der Medienlandschaft, sehe ich gedruckte Magazine eher wie eine Vinyl-Platte - die manch eine*r sich für den besonderen Genuss gönnt, für den authentischen Klang und die Haptik. Aber sonst hören einfach alle immer Spotify, wohl wissend, dass die Künstler*innen hier viel weniger Geld bekommen, aber es eben viel praktischer ist – mit der Musik auf dem Smartphone.
Hatten wir geglaubt, dass Journalismus, wie wir ihn kannten kein sinkendes Flaggschiff war? Hatten wir uns bei den Magazinen um Jobs beworben und jemals glauben können, dass das eine sichere Kugel bis zur Rente wird? Ich glaube nicht! Dafür war uns allen zu sehr bewusst, wie sehr die Verkaufszahlen seit Jahren abnehmen. Und wie dagegen die Zahl der gut ausgebildeten, eifrigen Konkurrenz… äh Mitbewerber*innen anstieg; wie viele hunderte Mails täglich bei den wenigen Bildredaktionen eingingen; wie schnell ein Kontakt wieder wertlos war, weil man einmal zu spät den Anruf beantwortete. Alle, die sich darüber nicht ein bisschen sorgten, warten wohl noch heute auf die Zahnfee, dass sie den Zahn der Zeit unter dem Kissen abholt.
Wofür sind wir damals als junge Fotojournalisten eigentlich angetreten? Für eine bessere Welt, für den Mythos des weltreisenden Fotografen* oder auch nur um Zeitzeuge zu werden. Letzteres sind wir und alle anderen, deren Jobs und Gehälter an der Medienbranche hängen, zweifelsohne und unfreiwillig geworden. Wir hätten uns nur andere Bilder erhofft, als Magazin-Titelseiten, die symbolhaft vor dem Rathaus in die Höhe gehalten werden. Und wir hätten vorher nicht gedacht, dass Fotograf*innen damit nicht das Leiden der anderen betrachten, sondern das eigene.
*ohne Gendersternchen ;)